An Bastian und Mike - Anhörung vor der Magnus Hirschfeld Stiftung swap_horiz

Vor der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sagen Mike F. und Bastian Melcher aus, sie hätten bei uns eine Konversionstherapie durchlaufen. In ihren Aussagen unterstreichen sie mehrfach die Worte „Therapie bei wüstenstrom“ und vergessen, dass sie in Wirklichkeit Teilnehmer in einer zeitlich befristeten Living Waters Selbsthilfegruppe waren. Diese hat aber nicht unter dem rechtlichen Dach des wüstenstrom e.V. stattgefunden, sondern wurde eigenständig von einer christlichen Gemeinde getragen.

Doch glaubt man nun in Deutschland behaupten zu können, „wüstenstrom“ (heute idisb e.V.) sei einer der größten Anbieter von Konversionstherapien. Die FAZ schreibt sogar, dass wir einem internationalen Netzwerk angehören, in das Gelder von US-Evangelikalen fließt, um Homosexuelle zu bekämpfen. Und im Bericht der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld und im Netz ist zu lesen, dass wir nur so tun, als ob wir keine Konversionstherapien betreiben. In Wirklichkeit würden wir uns geschickt hinter „Worthülsen“ verstecken. - Mit diesem Brief, den ich fiktiv an Mike F. und Bastian Melcher richte, die aussagen, wir hätten sie durch unsere Arbeit verletzt, will ich auch euch, liebe Freunde, einen Einblick geben in die Entwicklung, die wir beim Thema „Homosexualität“ in unserer Geschichte durchlaufen haben. - Eine Geschichte, über die wir nicht oft laut geredet haben.

Lieber Mike F. und lieber Bastian Melcher,

ich glaube euch, wenn ihr sagt, dass ihr die Selbsthilfearbeit von „Living Waters“ in einer Zeit innerer Bedrängnis und Irritation aufgesucht habt. Und so glaube ich euch, wenn ihr sagt, dass ihr die Hoffnung hattet, der Besuch einer solchen Gruppe könnte euch von dieser inneren Bedrängnis, die ihr aufgrund eurer Homosexualität empfunden habt, befreien. In euren Interviews klagt ihr aber auch wüstenstrom (heute idisb e.V.) an, und behauptet, eine umpolungsorientierte Therapie besucht zu haben, die euch Leid zugefügt hat.

Ich will nun nicht darauf eingehen, dass es eine irrige Behauptung ist, in einer Selbsthilfegruppe eine Therapie besucht zu haben. Aber auf euren indirekten Vorwurf, ich hätte euch als Verantwortlicher von wüstenstrom Leid zugefügt, will ich eingehen. Denn dieser Vorwurf bewegt mich und veranlasst mich, meine Seite der Geschichte zu erzählen.

Meine eigene Geschichte

Um meine Seite der Geschichte zu verstehen, will ich mich zunächst selbst vorstellen. Ich selbst bin ein Mann, der homosexuelle Gefühle in seinem Leben kennt. Daher kenne ich das, was ihr in euren Interviews im Rahmen der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld beschreibt. Auch ich kenne den Stress und den Druck, den man als Christ in der Gemeinde empfindet, wenn man merkt, dass Homosexualität eine Realität im eigenen Leben ist. Auch das Suchen nach Wegen, diesem vermeintlichen Schicksal zu entkommen, kenne ich. Denn ist es nicht so: Jeder hat in der christlichen Gemeinde einen Platz. Menschen, die die Ehe brechen. Menschen, die an einer Sucht leiden. Menschen, die exzessiv Pornos schauen. Aber der Mensch, der nicht-heterosexuell empfindet, der muss sich schämen. Denn ihm haftet schlicht der Makel einer Empfindung an, die nicht sein darf.

Ich selbst habe in meinem jungen Christenleben kaum mit jemandem über meine homosexuellen Empfindungen geredet. Tat ich es doch, dann kam man auf die Idee, den Geist der Homosexualität über meinem Leben zu brechen oder mich zur Vergebung gegenüber meinem Vater oder meiner Mutter zu zwingen. Dadurch hat sich auch bei mir nie etwas geändert. Das einzige, was sich veränderte, war die Einsamkeit. Denn für die Seelsorger war das Thema Homosexualität damit erledigt - ich aber war verwirrt. Denn las ich zu jener Zeit Bücher, dann wurde von Menschen berichtet, die durch Gebet von der Homosexualität befreit wurden. Da sich bei mir aber keine Veränderung einstellte, dachte ich, mein Glaube ist zu schwach oder ich habe noch nicht den richtigen Seelsorger, die richtige Methode oder Glaubenspraxis zur Bewältigung meines Themas gefunden.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung, wusste ich eins: Solche seelsorgerlichen Versuche, Menschen gesundzubeten oder ihnen durch irgendwelche Glaubenspraktiken einzureden, sie könnten ihre sexuelle Orientierung verändern, sind gefährlich und müssen möglichst verhindert werden.

Das amerikanisch Programm "Living Waters"

Es war ungefähr im Jahr 1995 oder 96 als ich zum ersten Mal von dem Programm Living Waters hörte. Sofort fiel mir auf, dass dieses Konzept in Deutschland anders verstanden wurde als in den USA. Hatte Andrew Comiskey immer betont, dass Living Waters nicht mehr als ein Selbsthilfetool ist, in dem Menschen ihre konflikthaft empfundene Sexualität in Beziehung zum Glauben setzen, so unterstellten viele Menschen in Deutschland dem Programm eine verändernde Wirkung. Kurz gesagt: Wer das Living Waters Programm besucht, der kann seine sexuelle Orientierung verändern.

Bei genauer Betrachtung erkannte ich schnell, dass die Themen des Konzeptes einem solchen Glauben Vorschub leisteten. So waren die Themen zum Teil diffus formuliert, und unter Überschriften wie „Mutterwunde“ und „Vaterwunde“ oder gar dem Thema „Generationengebet“ konnte, wer wollte, das Angebot einer schnellen Veränderung verstehen.

Trotz dem, dass ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen diesem Programm kritisch gegenüber stand, übernahm ich ca. 1998 die inhaltliche Verantwortung für das Programm. - Ihr fragt warum? Ganz einfach: Ich wollte es reformieren. Denn vor dem Hintergrund meines eigenen Erlebens wollte ich das Aufkommen eines „Umpolungs-Programms“ oder einer „Umpolungs-Welle“ in Deutschland verhindern. Das aber ging nur, wenn ich mich nicht vor der Verantwortung drückte und solchen Menschen das Feld überließ, die durch die eigene Betroffenheit motiviert oder durch eine charismatisch orientierte Glaubenspraxis das Konzept als „Umpolungs-Angebot“ anpreisen wollten.

Obwohl, wie ihr selbst wisst, das Programm von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Themen besucht wurde, galt mein größtes Augenmerk den homosexuellen Menschen. Meine Sorge war immer: Wie geht es ihnen? Wie verstehen sie die Inhalte des Programms? Welche Lebensdeutungen ziehen sie daraus? Setzt es sie unter Druck oder leiten sie übergroße Erwartungen hinsichtlich einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung davon ab?

Schrittweise Reform

Allerdings konnte ich mir diese Fragen nur schrittweise beantworten und so kam die Reform anfangs nur langsam voran. Denn ich trug für das Konzept zwar inhaltliche Verantwortung, konnte aber in die Praxis der Gemeinden vor Ort kaum eingreifen. Denn die Selbsthilfegruppen unterstanden verschiedenen christlichen Gemeinden und befanden sich nicht unter dem Dach von wüstenstrom.

Da ich aber Zugriff auf die Inhalte hatte, arbeitete ich sie Schritt für Schritt um, wollte sie verständlicher formulieren und kognitiv greifbarer machen. Auf diesem Weg sollte vor allem für die homosexuellen Menschen klarer werden, was sie von den Inhalten erwarten konnten - und was eben nicht. Auf alle Fälle sollte vermieden werden, dass sie verwirrt und in ihrem Glauben verunsichert werden.

Irgendwann musste ich aber einsehen, dass dieser erste Schritt der Reform nicht griff. Zu dieser Erkenntnis kam ich durch Interviews im Rahmen der Qualitätssicherung mit rund hundert Männern und Frauen mit homosexuellem Empfinden. Beinahe alle berichteten, dass sie die Inhalte und die angebotene Glaubenspraxis mit der Hoffnung auf eine schnelle Veränderung ihrer homosexuellen Orientierung verbanden. - Daraufhin untersagte ich die Aufnahme von Menschen mit homosexueller Orientierung in die Gruppen. - Da nur die wenigsten der Teilnehmer Homosexuelle waren, war diese Einschränkung kein Problem für den Fortbestand der Arbeit.

Gleichzeitig begann ich, auch auf Wunsch vieler Living Waters Mitarbeiter, das Programm umzuarbeiten. Hatte ich bis dahin schon viele Inhalte neu konzipiert, sollte daraus nun ein völlig neues Arbeitsbuch werden. Das war die Geburtsstunde von „Aufbruch Leben“. In enger Abstimmung mit den Mitarbeitern stellten wir ab jetzt nicht mehr die Sexualität in den Mittelpunkt des Programms, sondern die Persönlichkeit des Menschen. Besonders im Fokus standen Selbstwert und Beziehungskonflikte und die Frage, wie man trotz Konflikten ein glücklicher Christ sein kann. - Das Konzept Living Waters wurde so aus Deutschland verabschiedet.

Die Trennung von "Living Waters" Amerika

Was aus der Sorge um Menschen begann, die aufgrund irgendeiner Art nicht-heterosexueller Orientierung Hilfe suchten, endete mit der Erschaffung eines neuen Programms. - Dass damit auch das Ende der Zusammenarbeit mit Living Waters in den USA besiegelt war, ist nur eine konsequente Folge.

Bis heute steht das Motto von Aufbruch Leben hinter all unserem Beratungshandeln: Das erste Ziel unserer Beratung ist, dass Menschen morgen glücklicher und besser leben können. - Das hat mit dem, was man uns unterstellt, nichts zu tun, sondern sollte das Anliegen jedes guten Beraters sein!

Einladung zum offenen Gespräch

Lieber Mike, lieber Bastian: Es ist mir wichtig, dass ihr diese, meine Seite der Geschichte kennt. So respektiere ich eure Geschichte. Ich kann verstehen, dass ihr durch das Living Waters Programm irritiert worden seid, oder dass ihr darin etwas gesehen habt, was es nie geben konnte. - All das hat euch Leid zugefügt. Nehmt auf der anderen Seite aber auch meine Geschichte wahr. Es ist eine Geschichte des Ringens um Schutz von Menschen wie euch und wie mir.

Manchmal, wenn man wahrnimmt, dass die Absichten des anderen nie böse waren, kann man mit ihm auch in einen Dialog treten. Ich würde mir ein Gespräch mit euch beiden von Herzen wünschen.

Herzliche Grüße Markus