Erklärung zur Entwicklung und zum Stand unserer Arbeit swap_horiz

Aufgrund des Inkrafttretens des sogenannten Verbots von Konversionsbehandlungen (SOGISchutzG) und den Kampagnen in den Medien gegen uns, legen wir hier offen, was unser Weg in Bezug auf das Thema sexuelle Orientierung war, und was unser heutiger Standort ist.

Die Erklärung ersetzt die Presseerklärungen, die wir im Jahr 2019 als Stellungnahme zum Verbot von Konversionsbehandlungen vorgenommen haben.

Markus Hoffmann

Zielsetzung unserer Beratung

Als Einrichtung beraten wir Menschen, die ihre Sexualität und/oder Geschlechtlichkeit aus irgendwelchen Gründen konflikthaft erleben. Weil Sexualität ein komplexes Phänomen ist, das sowohl im Biologischen verwurzelt ist wie in der Psyche oder im Sozialen (Kultur, Gesellschaft), ist unsere seelsorgerliche und psychologische Beratung streng ergebnisoffen. Wir wollen Menschen mit einer konflikthaft empfundenen Sexualität oder Geschlechtlichkeit helfen, ihre Lebenssituation zu reflektieren und ihre Fragen und etwaigen Konflikte selbstbestimmt aufzudecken. In einer Beratung können wir nur reale Konflikte bearbeiten. Da wir jede Form von Leiden für betroffene Menschen verhindern wollen, erwarten wir von Ratsuchenden ebenso, sich auf einen Prozess der ergebnisoffenen Begleitung einzulassen.

Stellungnahme zu unserer Geschichte

Wir anerkennen als Institut unsere Geschichte. Wir sind ca. 1995 als Selbsthilfegruppe von homosexuell empfindenden Männern gestartet. Als Christen, die in einem gemeindlichen Umfeld aufwuchsen, in dem es Homosexualität nicht geben durfte und nicht über Sexualität gesprochen wurde, hatten wir viele Erfahrungen mit gescheiterten Konversionsbehandlungen hinter uns.

Die Selbsthilfegruppe, die wir um das Jahr 1995 ins Leben riefen, war nach all diesen Erfahrungen für uns ein Ort der Offenheit, des Austausches und der Freiheit. Wir erlebten diese Gruppe als Raum, in dem wir nicht für unsere sexuelle Orientierung diskriminiert wurden.

Als Selbsthilfegruppe verurteilten wir die Versuche von Konversionsbehandlungen, die wir selbst erlebt hatten. Wenn wir dennoch das Thema der „Veränderung“ sexueller Orientierung bewegten, dann deshalb, weil wir als Männer homosexuelle und heterosexuelle Anziehungen gleichzeitig in unserem Leben empfanden. So lag für uns die Frage, wie wir uns eindeutig, in die eine oder andere Richtung entwickeln konnten, auf der Hand.

Als einige von uns ihre heterosexuelle Anziehung weiter vertiefen konnten, dachten wir eine Zeit lang, dass dies jedem möglich sein könnte.

Doch schon bald begegneten wir Menschen, denen es nicht möglich war, die von uns gemachten Erfahrungen zu wiederholen. Wir anerkannten ab diesem Zeitpunkt, dass jeder Mensch seine Sexualität und auch seine sexuelle Orientierung sehr unterschiedlich erlebt, und dass Menschen dadurch vor unterschiedliche Lebenssituationen gestellt wurden.

Für uns führte diese Entdeckung dann zur Gründung des Vereins „wüstenstrom e.V.“ und zur Professionalisierung.

Entwicklung unserer Arbeit

Die Professionalisierung war ein Weg des Lernens, auf dem wir uns zu hinterfragen lernten, auf dem wir aber auch Theorien der Sexualwissenschaften begegneten, durch die uns die Komplexität von Sexualität und/oder Geschlechtlichkeit erst bewusst wurde.

Die Untersuchungen von Alfred Kinsey und die Forschungen von John Bancroft, die Schriften von Fritz Morgenthaler, die Fallbeschreibungen von Robert Stoller, die sexualwissenschaftlichen Artikel von Rolf Gindorf, Martin Dannecker, Gunter Schmidt u.v.a.m. bestätigten, was wir bei Menschen wahrnahmen: Menschliche Sexualität und Geschlechtlichkeit haben ihre Wurzeln im biologischen wie im affektiven Bereich des Psychologischen. Sie ist immer Ergebnis des Zusammenwirkens von Biologie, Psychologie und Umwelt (Kultur und Gesellschaft). Sexuelle Orientierungen sind bei manchen Menschen manifest und bei manchen fluide. Letztlich sind sie aber Schemata und Begehrensstrukturen, die als neuropsychologische Pfade im Gehirn des Menschen individuell abgelegt sind, und die nicht einfach gelöscht werden können.

In der Selbstreflexion, durch Fortbildung, durch fachliche Supervision, wie durch Orientierung an der Forschung kamen wir zur Erkenntnis, dass Sexualität und Geschlechtlichkeit auf einem je individuellen Erleben von Menschen beruht. So sagen wir heute mit dem Sexualwissenschaftler Rolf Gindorf, dass es nicht „die Heterosexualität“ und nicht „die Homosexualität“ gibt. Es gibt allenfalls Sexualitäten. Daher finden Menschen, die ihre Sexualität konflikthaft empfinden, Antworten auf das, was ihr Konflikt ist, weder in simplifizierten lebensgeschichtlichen Begründungen (etwa schwacher Vater, starke Mutter) noch in verkürzten biologistischen Ansätzen. Sie finden Antworten nur, wenn sie sich individuell auf das Entdecken ihrer eigenen Sexualität einlassen.

Veröffentlichungen in der Vergangenheit

Wir haben in der Vergangenheit unterschiedliche Artikel über Sexualität verfasst. Lesen wir sie mit unserem heutigen Wissen, dann stellen wir fest, dass wir darin individuelle Wege nachgezeichnet haben, die von einzelnen Menschen gegangen wurden. Mit unseren heutigen Erkenntnissen müssen wir ihre Allgemeingültigkeit aber verneinen. Denn unsere Erfahrung hat gezeigt, dass jede Verallgemeinerung deshalb falsch ist, weil der Weg eines Menschen nicht für den Weg eines anderen stehen kann.

Wir haben diese Texte deshalb auch entfernt und haben sie durch Berichte und Zeugnisse von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen ersetzt.

Von Living Waters zu Aufbruch Leben

Von 1998 bis Anfang 2005 waren wir in Deutschland auch für das amerikanische Living Waters Programm verantwortlich. Von Anfang an hatten wir eine große Skepsis gegenüber diesem Programm und übernahmen nur deshalb die Verantwortung dafür, um eine „Umpolungsbewegung“ in Deutschland zu verhindern.

Die Veränderung des Programms begann zunächst als langsamer Prozess, der eingeleitet wurde mit der Feststellung, dass Menschen darin nur Fragen von Glaube und Sexualität bewegen sollten. Deutlich informierten wir mehrfach darüber, dass das Programm die Selbsthilfe unterstützen kann, nicht aber, dass es als Therapie missverstanden werden darf.

Als wir in einer qualitativen Befragung von Menschen, die aufgrund ihrer nicht-heterosexuellen Empfindung das Programm besuchten, jedoch feststellten, dass viele von ihnen auf eine „magische Glaubensheilung“ hofften, erkannten wir den inneren Schaden, den das Programm anrichten kann. Wir stoppten daraufhin die Aufnahme von solchen Menschen und ersetzten das Inhalte ab dem Jahr 2002 sukzessive durch das Konzept „Aufbruch Leben“.

In diesem Konzept steht vor allem die Reflexion des Selbstwertes und der Beziehungsfähigkeit im Mittelpunkt und die Frage, wie Menschen trotz der Tatsache, dass sie in ihrem Leben etwas erleben, für das sie nicht leicht eine Antwort finden, glücklich leben können. Vor allem aber fokussierten wir uns auf Konflikte, die real im Alltag von Menschen stattfinden.

Das neue Konzept wurde von uns damals auch mit Vertretern der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche diskutiert, die uns bescheinigten, dass das Konzept in keiner Weise eine Reorientierung von sexuellen Orientierungen verspricht und dass Sexualität nicht Gegenstand des Ansatzes ist. - Über die Jahre haben wir dieses Konzept weiterentwickelt, um es für Menschen, die an langanhaltenden Konflikten in ihrer Person oder in ihren Beziehungen leiden, zu qualifizieren.

Wir gehen nicht den einfachen Weg

Die Entwicklung unserer Arbeit von einer Selbsthilfegruppe zur professionellen Seelsorge und Beratung ist ein Prozess, bei dem wir es uns nicht leicht gemacht haben und auch in Zukunft nicht leicht machen werden.

Wir anerkennen für uns die Spannung, in die wir besonders bei Themen aus dem Bereich Sexualität und Geschlechtlichkeit gestellt sind. Wir haben uns verpflichtet, diese Spannung auszuhalten. Wir tun das, indem wir uns mit immer neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinandersetzen, und indem wir offen sind für das individuelle Erleben von Menschen.

Die Spannung ist auch geprägt von Erwartungen und Vorurteilen, die auf unsere Arbeit gerichtet sind. So glauben einige, uns auf Aussagen der Vergangenheit festlegen zu können. Andere richten an uns die Erwartung, dass Seelsorge und Beratung nur das Ziel der Veränderung von Sexualität und Geschlechtlichkeit in eine bestimmte Richtung haben kann.

Beide gesellschaftliche Gruppen übersehen dabei, was heute die Grundlage und die Ausrichtung unserer Arbeit ist. So haben wir uns bereits vor einigen Jahren von jedem Konzept der Konversionsbehandlung abgekehrt. So sagen wir öffentlich und wiederholt immer wieder, dass Sexualität als affektives Erleben keiner Behandlung zugänglich ist. Wir haben uns im Zuge dessen auch zu einer strengen Ergebnisoffenheit verpflichtet und sagen, dass in der Beratung nur reale Konflikte, etwa Konflikte des Selbstwertes oder der Bindungsfähigkeit, Konflikte der Inkongruenz im Erleben der Sexualität, Konflikte mit der Moral oder Konflikte, die sich aus der Lebenssituation ergeben, Gegenstand sein können.

Beide gesellschaftliche Gruppen hängen aber auch an einem starren Konzept von sexueller Identität. So sagen beide, dass es nur eine bestimmte Form der sexuellen Identität geben kann. Wir stellen dagegen, dass Sexualität etwas zutiefst Individuelles ist, und dass Menschen, die einen Konflikt mit ihrer Sexualität haben, das Recht haben müssen, diesen Konflikt zu verstehen. Dabei ist es offen, ob sie durch das Verstehen einen Ansatz finden, ihren Konflikt zu lösen. Denn in Seelsorge und Beratung können nur reale Konflikte bearbeitet werden. Damit meiner wir solche Konflikte, die mit schulpsychologischen Theorien nachvollzogen werden können oder Konflikte, die auch im Rahmen sexualtherapeutischer, sexual medizinischer und sexualwissenschaftlicher Forschung belegt wurden. Wie aber das Leben nach der Lösung eines Konfliktes für den Menschen weitergeht, ist im Ergebnis immer offen.

Wir als Seelsorger und Berater können nur diese Offenheit und das individuelle Leben eines Menschen begleiten. Darin sehen wir die Armut von Beratung und Seelsorge. Ihr Reichtum letztlich aber kommt aus der Ergebnisoffenheit, die einem Menschen in Not sagt: du bist nicht allein.

Wir wissen, dass uns Menschen aus dem christlichen Raum daher auch eine liberale, unchristliche Haltung unterstellen. Denn nach ihrer Ansicht haben wir die Verpflichtung, Menschen Veränderungen zu verordnen. Wir sagen aber dagegen, dass wir als Christen den Auftrag haben, mit Menschen ihre Zerrissenheit auszuhalten. So wie Christus selbst die Zerrissenheit des Lebens am Kreuz ausgehalten und sie ganz in die Hände Gottes gelegt hat.

Unsere Haltung zum Konversionsverbot

Wie stehen wir zum Verbot von Konversionsbehandlungen? - Wir haben uns seit Beginn der Diskussion um ein Verbot von Konversionsbehandlungen für dieses Verbot ausgesprochen - nicht nur, weil wir in der Vergangenheit selbst Opfer von Konversionsversuchen waren, sondern Konversionsbehandlungen von Anfang an dem Irrtum unterliegen, man könne das Ergebnis eines Beratungsprozesses vorwegnehmen und dem Ratsuchenden (und auch anderen) suggerieren, mit der richtigen Methode und dem richtigen Willen wäre eine Veränderung zu erreichen.

Ebenso haben wir uns für ein solches Verbot ausgesprochen, weil wir uns ausführlich mit den verschiedenen Vorstellung einer möglichen Konversion befasst haben. Viele dieser Ansätze gehen zwar auf Konflikte ein, die Menschen in ihrem Leben empfinden können, zu kritisieren ist aber ihre Engführung in Bezug auf das Phänomen von Sexualität. So wird zum Beispiel nur auf einige wenige Faktoren des Verhaltens oder der Lebensgeschichte fokussiert, was nicht die Komplexität von Sexualität abbildet. Diese Engführung verhindert es, dass Menschen die verschiedenen Facetten, Strebungen und Phänomene ihrer individuellen Sexualität wahrnehmen können, was dann auch eine Schädigung des Menschen nach sich zieht.

Formen der Konversionsbehandlung behaupten auch gern eine bestimmte Kasuistik. Sie geben vor zu wissen, wie man bestimmte Themen im Bereich der Sexualität anzugehen hat. Es wird aber übersehen, dass Menschen, die auf diesen Wegen nicht zum Ziel kommen, verzweifeln und psychisch destabilisiert werden.

Vor allem aber kritisieren wir seit Jahren die Tatsache, dass nicht genug auf die Menschen eingegangen wird, die sich in einen Veränderungszwang verrannt haben. So wird zu wenig darauf geachtet, dass Menschen eine solche Konversionsbehandlung aufsuchen, die ihre sexuelle Orientierung ablehnen oder von ihrer Umwelt unter einen Veränderungsdruck gebracht werden. So kennen wir Menschen, die zu uns kamen, weil ihr Selbsthass im Laufe von anderenorts durchgeführten Konversionsbehandlung zugenommen hat. Zu wenig hat man ihnen geholfen, ihre Sexualität in ihr Leben zu integrieren. Das aber ist die Aufgabe, vor der jeder Mensch steht. Denn Sexualität kann man nicht einfach auslöschen oder wegmachen.

Unsere Kritik am Gesetz

Doch auch wenn wir uns für ein Verbot von Konversionsbehandlungen aussprechen, so haben wir die Diskussion um das Verbot aktiv kritisch begleitet. So haben wir nicht nur einen eigenen Gesetzentwurf beim Bundesministerium für Gesundheit eingereicht, sondern wir haben den jetzt vorliegenden Entwurf auch mehrfach kritisiert.

Kritisch sehen wir vor allem die hohe Unsicherheit, die das Gesetz auslöst. So ist der Tatbestand der Konversionsbehandlung nicht eindeutig definiert. Ebenso sehen wir kritisch, dass durch das Gesetz nicht alle Gruppen erfasst werden, die Fragen im Bereich ihrer Sexualität und/oder Geschlechtlichkeit haben. So nimmt das Gesetz von dem Verbot zwar ausdrücklich die Beratung oder Behandlung bei vorliegenden ICD-Diagnosen aus. Diese decken bei weitem aber nicht das große Feld der Konfliktlagen ab, mit denen man sich in der Sexualberatung oder Sexualtherapie befasst.

Ebenso wenig hat man sich im Gesetzgebungsverfahren mit den vielen Berichten von Veränderungen sexueller Orientierungen auseinandergesetzt, wie sie von behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten ins Internet gestellt wurden, oder wie sie in Forschungsberichten und Büchern von Sexualwissenschaftlern zu finden sind, die sich klar gegen Konversionsbehandlungen stellen. Wie sollen Berater daher künftig mit unbeabsichtigten Veränderungen im Bereich der Sexualität umgehen? Sollen sie diese besser verhindern? Sollten sie Angst haben, wegen unerlaubter Konversionsbehandlung angezeigt zu werden, wo sie doch nur den Ratsuchenden ergebnisoffen in seinem Prozess begleitet haben?

Schon gar nicht hat man sich mit dem Phänomen von Jugend und sexueller Orientierung auseinandergesetzt. Denn gerade in diesem Lebensalter wird eine Fluidität der Sexualität erlebt, wie in kaum einem Lebensalter, weshalb auch Uwe Sielert Sexualpädagogen zur Vorsicht auffordert, nicht allzu schnell Etiketten von „homosexuell“ und „heterosexuell“ zu verteilen (vgl. Uwe Sielert, Einführung in die Sexualpädagogik, Weinheim 2015, S. 95 f.). Prozesse müssen vielmehr offen gelassen werden, junge Menschen müssen ein Selbstverstehen entwickeln. Dabei ist die Ergebnisoffenheit das Gebot der Stunde.

Auch hat sich das Gesetz zu wenig mit der Tatsache auseinandergesetzt, dass die Sexualität und die sexuellen Empfindungen eines Menschen das eine ist. An welchem ethischen Leitbild aber der Mensch seine Sexualität ausrichtet, ist aber das andere. - Menschen, die individuelle Überzeugungen und Glaubensvorstellungen verfolgen, werden durch das Gesetz erheblich verunsichert. Denn sie wissen ab jetzt nicht mehr, ob sie sich einem Berater zumuten können, ohne ihn deshalb in Gefahr zu bringen, weil ihre Weigerung, ihrer sexuellen Strebungen nachzugehen, die im Gesetz verbotene Unterdrückung meinen kann.

So werden wir uns weiterhin einerseits klar für ein Verbot von Konversionsbehandlungen einsetzen. Wir werden aus fachlichen Gründen aber auch auf Probleme hinweisen, die durch das Gesetz in der Praxis entstehen. Vor allem dann, wenn dadurch Menschen verwirrt, verunsichert oder in der freien Entwicklung ihrer Person eingeschränkt werden.