Papst erlaubt Segnung gleichgeschlechtlicher Paare - Stimmt das? swap_horiz

Ich meditiere - Fiducia supplicans - das flehentliche Vertrauen - oder Brauchbarkeitsüberprüfung aus der Perspektive eines Homosexuellen, der sich die Anerkennung seiner gleichgeschlechtlichen Beziehung wünscht

Ich denke mich 35 Jahre zurück. Ich, ein Christ, der homosexuell empfindet und nicht einsieht, warum mir die Kirche meine gleichgeschlechtliche Partnerschaft nicht durch einen Segen bestätigt. Wäre mir in der damaligen Situation die Nachricht zu Ohren gekommen, dass der Papst die Segnung homosexueller Paare erlaubt, wie der Spiegel dieser Tage titelt, dann hätte ich gejubelt. Endlich wird meine Partnerschaft anerkannt.

Sogleich hätte ich mich damals, als Student der praktischen Theologie, hingesetzt und das vom Vatikan veröffentlichte und vom Papst ausdrücklich bestätigte Papier studiert. Drei Fragen hätten mich dabei bewegt: Was wird mir da von der Kirche angeboten? Wie werde ich als Mensch, der homosexuell empfindet und um kirchliche Anerkennung seiner Beziehung bittet, von der Kirche ab jetzt gesehen? Und welches Handeln wird von mir erwartet?

Erhofft hätte ich mir: Die Kirche bietet mir einen Segen für meine homosexuelle Beziehung an und anerkennt diese genauso wie die Ehe zwischen Mann und Frau. Die Kirche sieht mich nicht mehr als Sünder, weil ich gemäß meiner sexuellen Orientierung lebe, und daher erlaubt sie mir auch, meine Sexualität mit einem Partner des gleichen Geschlechts zu leben. D.h., sie fordert von mir keine Handlung der Unterlassung meiner sexuellen Praxis, wie dies der römische Katechismus tut.

Letztlich wäre ich beim Studium des Papieres „Fiducia supplicans“ dann furchtbar enttäuscht gewesen. Denn was bietet mir das Papier an?

Was wird mir da angeboten?

  • Das Papier macht mir Eingangs gleich klar, dass eine sexuelle „Beziehung ihren natürlichen, angemessenen und vollständigen menschlichen Sinn“ nur in einer ausschließlichen, dauerhaften und unauflöslichen Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau erfüllt, die von Natur aus für die Zeugung von Kindern offen ist. Jede andere Form partnerschaftlicher oder sexueller Beziehung sei unzulässig.

  • Meine Hoffnung auf Anerkennung meiner sexuellen Beziehung erhält damit eine Abfuhr. Was mir bleibt, ist jetzt nur noch die Hoffnung, dass das Papier irgendwo eine Kehrtwende macht und die in der Presse versprochene Erlaubnis der Segnung meiner gleichgeschlechtlichen Beziehung doch noch irgendwo zu finden ist.

  • Auf der Suche stolpere ich von einer Enttäuschung zur anderen: So wird mir in Nr. 5 klar gemacht, dass die Kirche nicht befugt sei, gleichgeschlechtlichen Verbindungen den Segen zu erteilen. Daher, so wird in Nr. 39 unterstrichen, darf der von mir und meinem Partner erbetene Segen auch nicht in Zusammenhang mit einem standesamtlichen Akt einer „Ehe für alle“ stehen, und auch auf die festliche Kleidung des Priesters muss ich im Unterschied zu einer heterosexuellen Eheschließung verzichten.

  • Dann aber schöpfe ich kurz Hoffnung, denn auf der einen Seite wird zwar darauf hingewiesen, dass „diejenigen, die durch die Kirche den Segen Gottes erflehen, … eingeladen (werden), ,ihre Gesinnung durch den Glauben zu stärken, durch den alles möglich ist’, und auf ‚die Leibe zu vertrauen, die zur Einhaltung der Gebote antreibt‘“ (Nr. 10), was nichts anderes heißt, als dass ich meine Homosexualität nur im Horizont der Gebote leben kann. Diese Forderung wird dann aber andererseits durch den Hinweis auf die Gefahr (Nr. 12) zurückgenommen, dass die Bedeutung des Segens nicht auf diesen mehr oder weniger moralischen Gesichtspunkt reduziert werden darf. Scheinbar bietet mir der Papst nun doch einen Segen, jenseits der üblichen moralischen Anforderungen an. Dazu holt das Papier dann aus, indem es den Segen (ab Nr. 14) im Rahmen der Heiligen Schrift reflektiert.

  • Als junger Student der praktischen Theologie krame ich also schnell mein Wissen zusammen, das ich in der Auseinandersetzung mit dem Segen bei Claus Westermann gesammelt habe, und da ich bereits einige exegetische Examina bestanden habe, stolpere ich dann auch gleich über die finale Auslegung, die sagt, dass der Segen, den Gott gewährt und den Menschen sich weitergeben, sich in „Integration, Solidarität und Stiftung des Friedens“ verwandelt. Schnell ist mir klar, dass das so nicht stimmt: Denn auch in der Bibel ist bedingungslos gegebener Segen, so Westermann, immer auf den Schöpfer und den Fortgang der Schöpfung nach dem Willen Gottes bezogen und bezieht sich daher auf die Durchsetzung des Heils. Heil und Segen bilden in der Bibel, vor allem im Alten Testament, immer eine Einheit. Von einer allgemeinen Integration von allem Möglichen kann da nicht gesprochen werden. Ganz zu schweigen von der deuteronomistischen Zuspitzung von „Segen“ und „Fluch“, in der die Segenskonditionierung eindeutig an das Halten der Gebote gebunden ist (Leuenberger, 2008). An diesen theologischen Feinheiten muss ich mich hier aber nicht abarbeiten, da die biblische Skizzierung des Segens bereits exegetisch windschief ist.

  • So langsam schwant mir, dass mir hier eine Mogelpackung angeboten wird. Bestätigt wird das sogleich durch die Ausführung des pastoraltheologischen Verständnisses von Segen. Denn als einer, der sich Segen wünscht, bekunde ich mit dem Wunsch nach Segen das Verlangen nach der barmherzigen Zuwendung Gottes durch die Kirche, die mir helfen soll, besser zu leben, und um dem Willen des Herrn zu entsprechen. - Mir dämmert, dass es doch eine moralische Voraussetzung gibt.

  • Jetzt bin ich nicht nur verwirrt, in mir entsteht Ärger. Denn je mehr ich die verschiedenen Passagen hin und her bewege und versuche, sie in die Richtung meiner Erwartung zu biegen, wird mir klar, wie mich dieses Papier als Empfangenden definiert.

Wie werde ich als der Empfangende definiert?

  • Ich sei, so ist in Nr. 21 zu lesen, jemand, der mit der Bitte um Segen meine „aufrichtige Offenheit für die Transzendenz“ bekundet, „aus den engen Grenzen“ der in ihren Beschränkungen eingeschlossenen Welt auszubrechen. Beim Weiterlesen ahne ich, was das für Beschränkungen sein könnten.
  • So werde ich in Nr. 26 als einer gesehen, dessen Bewusstsein für Schuld und Verantwortung durch verschiedene Faktoren, die subjektive Schuldfähigkeit beeinflusst, eingeschränkt ist;
  • und ich bin einer, der wenn er den Segen dann schon mal empfängt, von dessen Kraft begleitet werden soll, damit mein Herz bereit gemacht wird, sich von Gott verändern zu lassen (Nr. 27).
  • Und ich bin einer, der sich trotz seiner schwerwiegenden Fehler einem Gott gegenüber ausgeliefert sieht, der, auch wenn ich das nicht will, mein Wohl sieht, und hofft, dass ich mich „schlussendlich dem Guten öffne“ (Nr. 27).
  • Spätestens jetzt bringt mich das Papier auf 180. Denn es definiert mich als eine unzurechnungsfähige aber trotzdem irgendwie gläubige Person, die aufgrund ihrer Defizite, die wohl mit meiner sexuellen Orientierung zu tun haben, Gut und Böse nicht unterscheiden kann, und die durch den Segen doch nun irgendwie zum Guten hin manipuliert und auf Linie gebracht werden soll.

Welches Handeln wird von mir erwartet?

  • Zum Überkochen kommt mein Ärger erst recht, wenn ich von der Haltung lese, mit der ich an den Segen herantreten soll: Herantreten kann ich nur in der Haltung, dass ich von vornherein auf die Legitimation des Status meiner gleichgeschlechtlichen Beziehung verzichte.
  • Was ich erwarten kann ist dann nur, dass mich die durch den Segen geschenkte „helfende Gnade“ fähig macht, das in meiner Beziehung zu fördern, was gut und menschlich gültig ist, und dass ich „in der Treue zur Botschaft des Evangeliums reife und wachse“, mit dem Ziel, mich von den Unvollkommenheiten und Schwächen zu befreien.
  • Das nenne ich Moral durch die Hintertür. Denn ich erkenne, dass von mir nichts anderes gefordert wird, als auf die unvollkommene Sexualität, die ja nicht für Fruchtbarkeit und Zeugung offen ist, zu verzichten. Mit meinem Freund soll ich künftig eine platonische Beziehung führen. Und mir wird die Anstrengung aufgeladen, mich künftig nach den Geboten Gottes zu verhalten.

Fazit: Das Papier ist eine einzige Mogelpackung und sollte sofort im Reißwolf verschwinden. Der Trost, der mir bleibt, ist die Tatsache, dass der Papst sich nun doch irgendwie durchgerungen hat, meine gleichgeschlechtliche Beziehung für segenswürdig zu halten. Das fühlt sich dann doch etwas gut an. Denn damit hat er immerhin einen Bruch mit der bisherigen kirchlichen Lehre gewagt. Das gibt mir die Hoffnung, dass Beharrlichkeit am Ende doch noch zur Erfüllung meiner Erwartungen führt.

Doch erst mal liegen meine Erwartungen in Scherben! Denn die Kirche will meine gleichgeschlechtliche Beziehung definitiv nicht legitimieren, sie bewertet meine homosexuellen Handlungen immer noch als Sünde und sie verbietet mir daher genau genommen den Sex mit meinem Partner!

Ich wechsle zurück. Bin jetzt wieder 35 Jahre älter

und ich weiß nach hunderten von Begegnungen mit Betroffenen in der Homosexuellen-Szene, dass kaum einer das Papier in dieser kritischen Weise reflektiert.

Vermutlich werden sie es gar nicht lesen oder nach wenigen Zeilen aufgeben, denn das Papier ist unklar, verwirrend und eine Ansammlung von an Unverständlichkeit grenzenden Satzlabyrinthen. Vermutlich werden sie bei der Deutung des Papiers eher auf die hören, die sagen „und der Papst bewegt sich doch. Wenn wir dranbleiben, dann werden am Ende selbst unsere Liturgien geduldet, die wir für eine Segnung längst in der Schublade haben (oder bereits praktizieren!)“.

Das Papier wird daher eher als Ermutigung verstanden werden, im Ungehorsam gegen die kirchliche Lehre zu verharren oder es wird idealistisch überhöht. Denn eines weiß ich: So wie die Idealisierung des gleichen Geschlechts häufig Mittelpunkt homosexuellen Fühlens ist, so prägt idealistische Überhöhung von aus dem Zusammenhang Gerissenem die Hermeneutik von Betroffenen, die sich eine Anerkennung ihrer Beziehung wünschen.

Als Mensch, der Männer und Frauen begleitet, die sich an der kirchlichen Lehre orientieren, bin ich von dem Papier enttäuscht. Mehr noch aber bin ich enttäuscht, dass sich kaum ein Bischof mit gleicher Emphase auf die Seite derjenigen schlägt, die still, treu und in der Hoffnung auf Gott ihren Weg gehen, enthaltsam leben oder nach Heilung ihrer Lebenswunden in Jesus suchen. Wann also, und das sei der Schluss, kommt das Papier, in dem die Kirche eine Pastoral entwickelt, die die Begleitung dieser homosexuell empfindenden Frauen und Männer fördert und ihnen einen strukturellen Ort in der Kirche gibt. Wer diese Menschen sind, haben wir gezeigt. In unserem Buch, „Weil ich es will“ ist von ihnen zu lesen.