Wikipedia – viele veraltete und auch falsche Aussagen über unsere Arbeit swap_horiz

Wir wurden jüngst auf den Wikipedia-Artikel über die Arbeit von wuestenstrom hingewiesen. Wuestenstrom war der frühere Name unseres Vereins, bevor wir uns in Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e.V. umbenannt haben.

Wir müssen dazu Stellung beziehen, weil in dem Artikel zahlreiche veraltete und auch falsche Aussagen veröffentlicht sind.

Lange hatten wir diesen Wikipedia-Eintrag nicht beachtet. Wir waren davon ausgegangen, dass sich Menschen, die sich über unsere Arbeit informieren wollen, eher auf unserer eigenen Webseite www.idisb.de umsehen. Doch gibt es offenbar auch viele, gerade auch Journalisten und wohl auch Politiker, die den Wikipedia-Eintrag als Informationsquelle verwenden.

Daher heute einige dringend nötige Richtigstellungen:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass in dem Artikel die Information fehlt, dass der Verein wuestenstrom sich weiterentwickelt hat und heute den Namen „Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e.V.“ trägt.

Wikipedia schreibt:

"Wuestenstrom ist eine evangelikale christliche Organisation..."

Richtig ist:

Wir sind nicht und waren nie eine evangelikale Organisation, gehören auch nicht zu einem Spitzenverband der evangelikalen Bewegung, wie der Deutschen Evangelischen Allianz. Wir haben von Beginn unserer Arbeit an aber viele Unterstützer und Freunde von evangelikalen Organisationen und Gemeinden – wie aber auch aus dem Bereich der Ev. Freikirchen, der Ev. Landeskirchen und der Katholischen Kirche und der charismatischen Bewegungen.

Wir sind eine Organisation, die u.a. Seelsorge und psychologische Beratung anbietet und die sich damit auch auf ein christliches Menschenbild bezieht. Wir gehören als Verein aber keiner speziellen Denomination an. Auch die Mitarbeiter sind in unterschiedlichen Kirchen und christlichen Gemeinden zuhause.

Wikipedia schreibt:

„Sie bietet Beratungen, Seminare und Selbsthilfegruppen ... an.“

Richtig ist:

Wuestenstrom hat früher auch Selbsthilfegruppen angeboten. Das Institut für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung bietet keine Selbsthilfegruppen im engeren Sinne mehr an, vielmehr Gruppen, die nach einem bestimmten theologisch und psychologischen Ansatz von geschulten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geleitet werden. An solche Gruppen, die der allgemeinen Lebenshilfe zugeordnet werden können, wenden sich Menschen, die vor allem Konflikte mit ihrem Selbstwert und in ihren Beziehungen erleben.

Dazu können auch Menschen, die ihre Sexualität konflikthaft erleben. Die Arbeit der Gruppe ist aber nicht auf die Sexualität fokussiert, Sexualität ist auch nicht explizit Gegenstand der Arbeit, auch nicht des Materials. Vielmehr wenden sich die Gruppen an Menschen, die unter langanhaltenden Konflikten im Bereich ihrer Persönlichkeit oder Beziehungsfähigkeit leiden oder an Menschen, die Schwierigkeiten mit der Struktur ihrer Person haben und unter einer mangelnden Emotionsregulation leiden.

Aufgrund dessen findet sich in den Manualen, nach denen diese Gruppen geleitet werden, keine Ausführung zum Thema Sexualität, auch nicht Homosexualität. – Die Arbeit in den genannten geleiteten Gruppen macht heute etwa 20 Prozent unserer Tätigkeit aus. Daneben gibt es andere Angebote, auch Fortbildungen im Bereich psychologischer Beratung und Seelsorge und entwicklungssensibler Sexualpädagogik.

Wikipedia schreibt:

„Homosexualität sei“ (für uns)... „Symptom eines tieferliegenden therapierbaren und heilbaren Konflikts und daher veränderbar.“

Richtig ist:

Zunächst sei klargestellt, dass der zitierte Abschnitt in wikipedia auf keine Quelle verweist. Er ist frei als Annahme des oder der Autoren formuliert und stimmt daher nicht mit unserer seit Jahren, in mehreren öffentlichen Erklärungen, dargestellten Sichtweise überein. Diese soll hier nochmals skizziert werden.

Dort, wo wir in unserer Arbeit Sexualberatung anbieten, orientieren wir uns an den Forschungen aus dem Bereich der Psychologie, der Sexualtherapie und der Sexualwissenschaften. Sexualität beschreiben wir daher als komplexes bio-psycho-soziales Phänomen. Sie hat ihre Wurzeln im biologischen wie im affektiven Bereich des Psychologischen. Sie kann daher auch nur im Kontext von Biologie (Genetik, Hormone, Hirnorganik), Psychologie und Umwelt (Gesellschaft und Kultur) individuell verstanden werden. Sexuelle Orientierungen sind nach dem Urteil dieser wissenschaftlichen Grundlagen entweder manifest oder mehr oder weniger fluide. Letztlich aber ist jede individuelle Sexualität im Menschen als Schema von Begehrensstrukturen abgelegt, die als neuropsychologische Pfade im Gehirn des Menschen angelegt sind, und die nicht einfach gelöscht werden können.

Wenn Menschen Konflikte in Bezug auf ihre Sexualität empfinden, dann können diese Konflikte auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sein.

Entweder ergeben sich die Konflikte aus der Lebensführung von Menschen. Dann zum Beispiel, wenn ein Mensch erlebt, dass ihm seine sexuelle Beziehungen nicht gelingen. Oder wenn er erlebt, dass er seine Sexualität nicht in einer festen Partnerschaft verwirklichen kann, er dies aber wünscht. Oder wenn er die Verwirklichung von Sexualität oder der Gedanke daran, von Angst und Scham begleitet ist etc.

Davon unterschieden gibt es Menschen, die in Bezug auf Sexualität eine Ambivalenz auf der Achse Bindung und Autonomie erleben. Menschen beschreiben dann, dass sie sich in einer Beziehung zum Beispiel ausgeliefert fühlen, dass sie ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse nicht verwirklichen können, sondern sich immer dem Partner aufopfern müssen. Andere beschreiben, dass es ihnen in der Sexualität nur auf die Erhöhung ihrer Autonomie und Unabhängigkeit ankommt, weshalb sie Partner unterwerfen müssen oder es in Partnerschaften zu Konflikten kommt.

Eine weitere Ebene von Konflikten kann es - aber muss es nicht - geben, wenn Menschen eine Inkongruenz in Bezug auf ihre individuell empfundene sexuelle Orientierung erleben. Jede sexuelle Orientierung besteht aus den Ebenen der Phantasie, der Anziehung, des Verhaltens und der Identität. Zwischen diesen Ebenen können Menschen eine Inkongruenz erleben: Ein Mensch erlebt eine sadomasochistische Fantasie, die er aber nicht auf der Ebene des Verhaltens ausleben will, sondern zurückhält, die Person leidet aber unter dieser Inkongruenz; eine Person hat zeitweise ein bestimmtes sexuelles Verhalten, etwa heterosexuell oder homosexuell, fühlt sich aber erotisch in eine andere Richtung angezogen; eine Person hat für sich eine bestimmte sexuelle Identität entwickelt und sozial verwirklicht, merkt aber dann, dass auf der Ebene der Phantasie und/oder auf der Ebene des Begehrens andere Sehnsüchte gegenüber anderen Partnern auftauchen etc.

Dann kann ein Mensch auch auf der Ebene seiner individuellen Moralvorstellungen einen Konflikt empfinden. Dann wenn er seine Sexualität etwa nicht mit seinen Moralvorstellungen in Einklang bringen kann. Solche Wertkonflikte gibt es in allen Formen der Sexualität.

Schließlich gibt es aber auch zwanghafte Veränderungswünsche, die ein Mensch in Bezug auf seine Sexualität erleben kann. Etwa wenn ein Mensch sich wünscht, dass kein sexuelles Begehren in ihm entstehen soll. Oder weil ein Mensch mit seiner sexuellen Orientierung nicht zufrieden ist und deshalb eine Veränderung wünscht. Solche Konflikte beruhen meist auf Selbstablehnung, die in Menschen dann entsteht, wenn sie aufgrund ihrer Sexualität zu einer Minderheit gehören und Stigmatisierungen und Minderheiten-Stress ausgesetzt sind.

Die verschiedenen Ebenen von Konflikten beziehen sich auf alle Formen von Sexualität und können zeigen, dass der Satz des Wikipedia-Autors kein Satz ist, den wir unterschreiben können. Denn selbst, wenn ein Mensch herausfindet, dass er im Bereich seiner Sexualität einen Konflikt auf der Ebene Autonomie und Bindung hat, dann ist nicht gesagt, dass er diesen Konflikt einfach lösen und damit seine Sexualität verändern kann. Von solchen Annahmen haben wir uns mehrfach distanziert, denn sie beruhen auf allzu simplen Annahmen und suggerieren, dass Sexualität jenseits der beschriebenen Komplexität direkt mit lebensgeschichtlichen oder psychodynamischen Hintergründen in der Person verbunden ist.

Wir wollen trotzdem aber nicht verschweigen, dass wir in der Vergangenheit Artikel veröffentlicht haben, in denen dieser Zusammenhang so herausgelesen werden kann. Diese Artikel beruhen aber auf einzelnen Fallbeschreibungen, die die individuelle Geschichte eines Menschen wiedergeben und daher nicht verallgemeinert werden dürfen. - Dort, wo wir den Eindruck der Verallgemeinerung in der Vergangenheit erweckt haben, korrigieren wir diesen heute. Schon gar nicht wollen wir durch solche Fallberichte die Meinung in die Welt setzen, dass wenn Menschen psychische Konflikte, die sich funktional mit der Sexualität verbunden haben, lösen, zu einer Veränderung ihrer sexuellen Orientierung gelangen.

Letztlich aber haben wir auch diese Meinung in den letzten Jahren immer wieder verneint, indem wir ausdrücklich individuelle Berichte von Menschen veröffentlicht haben, die im Laufe einer ergebnisoffenen Beratung für sich einen Weg der Veränderung finden konnten und solche, die diesen Weg nicht gehen konnten. - Was heisst, Menschen können mit einem Konflikt in ihrer Sexualität nur ergebnisoffen begleitet werden. Jede Form von Versprechen einer Konversion ist daher nach unserer Meinung unwissenschaftlich und unseriös.

Wikipedia schreibt:

„Wuestenstrom räumt zwar ein, dass Homosexualität nach medizinisch-psychiatrischen Kriterien keine Krankheit ist, betrachtet sie aber dennoch als Symptom einer Störung.“

Richtig ist:

Wir beschreiben in manchen Veröffentlichungen, dass Menschen ihre eigenen homosexuellen Empfindungen im Zusammenhang mit schwierigen Lebenserfahrungen wahrnehmen, mit Beziehungsängsten und Selbstwertkonflikten. Manche beschreiben klar, dass sie dann homosexuelles Verlangen feststellen, wenn sie sich in der Situation von Scham, Einsamkeit und Minderwertigkeit befinden. Wenn wir solche Zusammenhänge aus Fallgeschichten beschreiben, dann bewegen wir uns dabei in dem oben dargestellten Zusammenhang von Sexualität, die im Menschen aus unterschiedlichen Gründen und auf dem Hintergrund einer hochindividuellen Genese mit Konflikten verbunden sein kann. Wir behaupten aber nicht, dass Homosexualität das Symptom für eine psychische Störung ist. Dies ist eine nicht zulässige Verkürzung unserer Veröffentlichungen.

Zudem kommt es im Rahmen der Begleitung von heterosexuellen Menschen genau zu den gleichen Entdeckungen. Auch heterosexuelle Menschen entdecken Beziehungsängste, Selbstwertkonflikte, Scham und Minderwertigkeit in ihren Konfliktlagen. Auch hier muss man auf die individuelle Fallgeschichte schauen, muss - wenn Menschen dies wünschen - an den greifbaren Konflikten arbeiten. Damit ist aber auch bei heterosexuellen Menschen nicht automatisch eine Veränderung des sexuellen Konfliktes erreichbar.

Letztlich gilt für jede Beratung, dass der Mensch dort wo er einen Konflikt in sich entdeckt, diesen verstehen darf. Wenn sich aus dem Verstehen ein konkret bearbeitbarer Konflikt ergibt, dann sollte der Mensch auch die Erlaubnis haben, ein Weg der Konfliktlösung zu gehen. Kein Berater der Welt kann einem Menschen aber versprechen, dass man am Beginn eines solchen Weges das Ergebnis vorwegnehmen kann. Beratung kann nur ergebnisoffen stattfinden, alles andere halten wir für unethisch. Deshalb weissen wir auch Menschen ab, die uns zu einem Ergebnis in Bezug auf ihre sexuellen Themen drängen.

Wikipedia schreibt:

„Um diese Entscheidung - (für oder gegen eine Verwirklichung der Homosexualität in einer Lebensform) - aber für alle Seiten flexibel zu halten, sei es ethisch geboten, für diejenigen nach Veränderungsmöglichkeiten zu fragen, die sich nicht für eine „homosexuelle Identität“ entscheiden wollten, sondern eine Veränderung wünschten.“

Mit diesem Abschnitt legt der Wikipedia-Artikel nahe, dass es im Rahmen der Beratung des idisb e.V. nur zwei Formen des Umgangs mit Homosexualität geben könnte: Das Ausleben der sexuellen Orientierung oder die Veränderung. Wir haben in verschiedenen Veröffentlichungen betont, dass der Zusammenhang viel komplexer ist. Ja, es gibt Menschen, die sich wünschen, dass sich in ihrer Sexualität etwas ändert. Und ja, es gibt die Erfahrung, dass Menschen eine Veränderung erlebt haben - manchmal einfach in ihrer normalen Entwicklung, manchmal, wenn sie an anderen Lebenskonflikten gearbeitet haben. Aber ebenso haben wir immer betont, dass Veränderungen nicht absehbar oder planbar sind und daher auch nicht versprochen werden können.

In der Literatur gibt es viele Berichte von Menschen, die in ihrer sexuelle Orientierung eine Veränderung erlebt haben. Selbst der Sexualwissenschafter und Mitherausgeber der Zeitschrift Sexualforschung, Gunter Schmidt, schreibt von solchen Menschen. Ebenso wird in der Zeitschrift von Sexualforschung oder in der Fachpublikation "Archive for Sexual Behavior" von Menschen berichtet, die ihre sexuelle Orientierung flexibilisieren konnten. Niemand würde aber diesen Fachwissenschaftlern Konversionsbehandlungen vorwerfen. Denn letztlich erklärt werden können diese Prozesse solcher Veränderungsphänomene nicht wirklich. Auch wir können das nicht. Deshalb sagen wir seit Jahren, wir können in einer Beratung nur reale, greifbare Konflikte bearbeiten.

Deshalb distanzieren wir uns auch deutlich von der Aussage auf Wikipedia. So ist es zwar ethisch geboten, den Veränderungswunsch von Menschen ernst zu nehmen, es ist aber genauso geboten zu fragen, woher dieser Wunsch rührt. Weil wir erkannt haben, dass er bei vielen Menschen aus einer inneren Ablehnung der eigenen sexuellen Orientierung rührt oder auf umweltbedingten Druck basiert, arbeiten wir mit Menschen an diesem. Gleichzeitig aber betonen wir gegenüber Menschen mit einem Veränderungsverlangen immer, dass wir nur an wirklich identifizierbaren und psychologisch begründbaren Konflikten arbeiten können. Auf der Grundlage eines Veränderungswunsches im Bereich sexueller Orientierung können wir aber keinen Beratungsprozess gestalten.

Schluss

Diese Punkte erscheinen als die Wesentlichen, die einer Richtigstellung bedürfen. Natürlich würden wir uns freuen, wenn der Wikipedia-Artikel nicht zum Großteil aus alten Zitaten von Menschen - häufig Aktivisten der LGBT-Community - bestehen würde, die unsere Arbeit überhaupt nicht kennen und sich in erster Linie auf Gerüchte beziehen oder allgemein „Umpolungsversuche“ sexueller Orientierungen kritisieren - wovon wir uns schon immer sehr differenziert distanziert haben.

Auch wenn zumindest einige Zitate der Richtigstellung übernommen wurden, erscheint der Wikipedia-Artikel somit nicht als lexikalische Informationsquelle, sondern eher als rufschädigende Zusammenstellung von Unterstellungen. Wir würden uns freuen, wenn die Administratoren den Artikel grundlegend überarbeiten und neben der Streichung von Falschaussagen auch die neueren Entwicklungen und Veröffentlichungen unserer Organisation berücksichtigen würden.

10. März 2020