Heterosexuelle Entwicklungen und Entwicklungspsychologie swap_horiz

Heterosexuelle Entwicklungsverläufe - Sexualität fällt nicht vom Himmel

Woran denken wir heute, wenn wir den Begriff „sexuelle Entwicklung“ hören? Liest man das kürzlich erschienene, in allen Medien hochgelobte Aufklärungsbuch für Teenager „Make Love“, so hat man den Eindruck, „sexuelle Entwicklung“ erschöpfe sich heute in einer körperlichen Gebrauchsanweisung, die, wie auf dem Buchdeckel nachzulesen ist, sich auf „Selbstbefriedigung und Küssen... Blowjob und Verhütung“beschränkt.

Dagegen zeigt die Forschung, die Sexualität in Zusammenhang mit Bindung und der psychischen Persönlichkeit des Menschen ausleuchtet, dass die Entwicklung einer gelingenden Sexualität und einer sexuellen, lebenslangen Bindung von der psychischen Reife eines Menschen und seinem in der Kindheit erlebten Bindungsverhalten abhängt.

So streichen neuere Untersuchungen zum Thema Bindung und Sexualität heraus, dass Menschen, die in der Kindheit unsichere Bindungen erfahren haben, sich als Erwachsene nur schwer angstfrei auf partnerschaftliche Sexualität einlassen können. Personen, die aufgrund krisenhafter Beziehungen zu den Pflegepersonen einen eher distanzierten Bindungsstil ausgeprägt haben, neigen zu flüchtigen Sexualkontakten. Und Menschen, die an ihrem Erscheinungsbild als Frau oder Mann zweifeln, stabilisieren über Sexualität oftmals ihre brüchige Persönlichkeit . Gelingende Sexualität scheint also von Faktoren abhängig zu sein, die jenseits sexueller Techniken liegen. Vor diesem Hintergrund möchte ich einige Aspekte der psychosexuellen Entwicklung des Menschen skizzieren. - Zurückgegriffen wurden in diesem Artikel vor allem auf Untersuchungsergebnisse, die heterosexuelle Entwicklungen nachzeichnen.

Die Entwicklung der Geschlechtsidentität ist ein Prozess

Sexualtherapeuten wie David Schnarch sagen, dass gelingende Sexualität ein stabiles Wissen um das eigene Geschlecht voraussetzen. Der Weg dazu beginnt ab der Geburt und ist eng mit der Ausbildung der Persönlichkeit des Menschen verbunden. Auf diesem Weg muss sich ein heranwachsendes Kind vor allem drei zentrale Fragen beantworten: Wer bin ich in meinem Geschlechtskörper? Weiß ich mich der Gruppe der Geschlechtsgleichen zugehörig? Und: Besitze ich das Potential und die Potenz, meine mir zukommende Geschlechtlichkeit zu leben?

Sexualforscher wie beispielsweise Robert Stoller oder Eleanor E. Maccoby ordnen den drei Fragen die Stichworte Entwicklung der Kerngeschlechtlichkeit (core gender identity), Geschlechtsgruppenzugehörigkeit (gender identity) und Potenz (potency) zu.

Kein Kind kann sich eine der genannten Fragen selbst beantworten. Denn in jeder einzelnen Frage ist der heranwachsende Mensch auf der einen Seite dazu eingeladen, seine Stärken zur Entfaltung zu bringen, und auf der anderen Seite dazu herausgefordert, seine unerfüllbaren Geschlechtsmöglichkeiten abzutrauern. In diesem schwierigen Prozess ist das Kind auf die feinfühlige Begleitung der Eltern, wie sie innerhalb der Bindungsforschung immer wieder betont wird, angewiesen. Die Eltern müssen das Kind durch das Angebot von Trost, Zuspruch und Herausforderung im Prozess des Wachstums begleiten. D.h., das Kind muss über Bindungserfahrungen, die es im Zusammenhang mit der Ausformung seiner Geschlechtlichkeit macht, offen sprechen können. Nur so kann sich im Kind ein emotionales Wissen ausbilden, das ihm hilft, in der Balance seiner erlebten Gaben und Grenzen seine Persönlichkeit zu finden.

Eltern, denen eine solche Beziehungsgestaltung gelingt, werden von ihren Kindern als sichere Basis (Secure Base) erlebt und bis in das Alter zwischen 15 und 17 Jahren als solche aufgesucht. Die empirische Befundlage zeigt, dass solche Kinder nicht nur ein sicheres Bindungsverhalten ausprägen, als vielmehr auch mehr „soziale Fähigkeiten, mehr Vertrauen, weniger Feindseligkeit und ein besseres Konfliktmanagement“ haben. Längsschnittuntersuchungen haben ergeben, dass solche sicheren Beziehungen dann Vorläufer für sichere Partnerschaften im Erwachsenenalter sind, und dass solche junge Menschen erst in emotional stabilen Partnerschaften Sexualität integrieren. Gelingende sexuelle Entwicklung, als Sexualität in langanhaltenden Partnerschaften, braucht also sichere Bindungen und Eltern, die dem Kind in den Fragen begegnen, die es sich auf diesem Weg beantworten muss.

Kerngeschlechtlichkeit und Körper 

Die erste Frage, die sich ein Kind zu beantworten hat, lautet: Wer bin ich in meinem Geschlechtskörper? Diese Frage beantwortet sich das Kind in vielen kleinen hoch unbewussten Schritten. Zum Beispiel dann, wenn es die Welt mit einem Körper betritt, von dem Lust- und Unlustspannungen ausgehen, was erste Empfindungen seines Selbsterlebens sind. Erlebt das Kind in der Versorgungsgemeinschaft mit der Mutter Sicherheit und Verlässlichkeit, dann kommt es zur Ausdifferenzierung eines Bildes vom Selbst im Körper, dem es vertrauen kann. Kommt es dagegen durch Unterversorgung oder durch die emotionale Beziehung zur Mutter zu Irritationen, kann dies zu einer frühen Entfremdung vom eigenen Körper führen. Im Extremfall wird dabei der Körper als Feind erlebt, auf den man sich nicht verlassen kann. In der Folge fühlt man sich im eigenen Körper nicht richtig zuhause und man kann seine körperlichen Empfindungen schlechter als andere Menschen balancieren. Gerade Untersuchungen im Bereich körperbezogener Therapien zeigen viele vegetative Störungsformen, von denen ein Mensch dann betroffen sein kann.

Einen zweiten Schritt hin zur Beantwortung der Frage nach dem Geschlechtskörper geht das Kind dann, wenn es krabbelnd, laufend, tastend seinen Körper entdeckt oder in der Phase der Sauberkeitserziehung. Für das Kind geht es dann um die Frage eigener Körperbeherrschung, aber auch um die Erlaubnis, den eigenen Körper selbst zu beforschen und mit ihm frei in der Spannung von Lust und Unlust umzugehen. In dieser Zeit kommt es auch zur ersten Begegnung mit der eigenen Geschlechtlichkeit, zur Lust, das eigene Geschlechtsteil zu berühren, was für das Kind nicht im Kontext genitaler Sexualität steht, als vielmehr als lustvolle Besetzung des eigenen Körpers erlebt wird. Eltern sollten diesen Prozess offen und unerschrocken begleiten und es vermeiden, das Kind dabei zu beschämen. Denn dort, wo ein Kind in sicheren Bindungen lebt, kommt es nicht zu einem Rückzug auf frühe kindliche Masturbation, wie Untersuchungen des Kinsey Instituts zeigen. Solche Phänomene treten nachweislich nur dann verstärkt auf, wenn das Kind einen Verlust von oder starke Verunsicherungen der Beziehungen zu den Pflegepersonen erlebt.

Kann das Kind zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr sein Selbst im eigenen Körper entdecken, dann spricht es irgendwann die Sätze, „Ich bin ein Mädchen“ oder „Ich bin ein Junge“. Das Kind hat dann den eigenen Körper mit seiner Geschlechtlichkeit besetzt.

Gender Identity - Geschlechtszugehörigkeit und die Frage der Potenz

Sobald das Kind die innere Gewissheit darüber ausgebildet hat, wer es in sich ist, will es dieses mit dem Vertrauen in Einklang bringen, dass wichtige Andere das innere Identitätsgefühl bestätigen. In diesem Zusammenhang ist für das Kind zunächst das gleichgeschlechtliche Elternteil von herausragender Bedeutung. Das ist für Mädchen und Jungs mit je eigenen Herausforderungen verbunden.

So steht das Mädchen, das am Beginn des Lebens in enger, emotionaler Gemeinschaft mit der Mutter lebt, vor der Aufgabe, eine kritische Distanz zur Mutter aufzubauen, damit es sich als eigenständige Person wahrnehmen kann. Hierzu braucht das Mädchen die Präsenz des Vaters, der das Mädchen an das Erleben eigener Selbständigkeit heranführt, indem er dem werdenden Frausein seiner Tochter würdigend begegnet und sie damit in der Eigenständigkeit ihres Personseins bestätigt. Hat das Mädchen diesen Schritt vollzogen, wendet es sich zurück zur Mutter, weil es aus der kritischen Distanz die Beobachtung macht, dass die Mutter die Person ist, bei der sie Frausein lernen kann. Alles kommt nun darauf an, dass zwischen Mutter und Tochter ein identitätsstiftender Dialog möglich wird, in dem das Mädchen selbst entscheiden kann, welche Anteile des Frauseins der Mutter sie in ihre Identität integriert und welche Anteile sie zurückweist .

Gelingt in dieser Phase die Beziehung zwischen Tochter und Vater nicht, so schleicht sich in das Verhältnis Frau Mann Angst und Unsicherheit ein, was später in Bezug auf Männern zu abhängigen oder vermeidenden Beziehungen führen kann und heterosexuelle Partnerschaften krisenhaft belastet. Misslingt die Annäherung zwischen Mutter und Tochter, etwa indem die Mutter dem Mädchen die Freiheit eigenen Frauseins nimmt, so kann sich ein unsicheres und wenig selbstbestimmtes Frausein entwickeln. Frauen, die in sich Unsicherheit erleben, sind oft ein Leben lang auf der Suche nach sich selbst. Probieren das eine und andere Modell von Frausein aus, ohne in sich zur Gewissheit zu kommen, was ihr Frausein letztlich ist. Oft halten sie auch Schuldgefühle ab, ihr eigenes, selbstbestimmtes Frausein zu finden, da sie glauben durch in Besitznahme ihrer Identität gegen die Regeln und die Kontrolle der Mutter zu verstoßen.

Der Junge dagegen muss von der Mutter angstfrei zum Vater hin entlassen werden, damit er dort seine Identität aushandeln kann. Zu Krisen in heterosexuellen Partnerschaften kommt es später meist dann, wenn die Mutter ihre Ängste vor Männern auf den Jungen überträgt. Das kann dazu führen, dass ein Junge ab der Pubertät entweder Angst, Aggression oder Distanz gegenüber Frauen erlebt oder den Wunsch ausbildet, von Frauen in seinem Mannsein erlöst zu werden. In der Folge kann der Mann Schwierigkeiten entwickeln, seine Männlichkeit in die Beziehung zu einer Frau integrieren zu können, oder er sucht in der Sexualität zu Frauen nicht partnerschaftliche Erfüllung und Nähe, sondern die Erlösung seines Mannseins. Misslingt allerdings die Annäherung des Jungen an den Vater, so kann sich im Heranwachsenden kein klares Bild seines Mannseins entwickeln. Mit dieser Unsicherheit ausgestattet greifen manche Männer später auf oberflächliches, abgeschautes, machohaftes Mannsein zurück oder geraten in eine Hilflosigkeit, die sie das Leben eines passiven, antriebslosen Mannes führen lässt. Nicht selten begeben sich solche Männer dann in Beziehungen, in die sie nicht partnerschaftlich eintreten, sondern als "kleine Jungs", die durch Anpassung irgendein Mannsein leben. Tauchen diese Männer in der Beratung auf, so erzählen sie, dass sie sich vom Gefühl der Männlichkeit entfremdet fühlen.

Wenn die Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil glückhaft verläuft, erwirbt der heranwachsende Mensch nicht nur die Gewissheit, dass sein Kerngeschlechtlichkeitsempfinden auch von wichtigen Personen des gleichen und des fremden Geschlechts bestätigt wird. Sie erwerben auch die Gewissheit und innere Sicherheit sich einer Geschlechtsgruppe angstfrei zuordnen zu können. Diese Zuordnung nehmen Menschen, die eine gelingende Beziehung zu ihren Pflegepersonen erfahren haben oft gar nicht wahr. Für sie ist das Empfinden der Zugehörigkeit selbstverständlich. Menschen, die diese Gewissheit aber nicht erworben haben, berichten oft, dass sie sich bereits im Kindergartenalter fremd gefühlt haben. Nicht selten berichten sie auch von untergründigen Ängsten, da sie andere, vor allem Geschlechtsgenossen nicht einschätzen konnten. In Bezug auf die sexuelle Entwicklung hat die Annahme und das Erleben von Zugehörigkeit und Mitgestaltung in der Gruppe der Gleichgeschlechtlichen erhebliche Auswirkungen auf die Tatsache, ob sich ein Mensch in seiner Geschlechtlichkeit attraktiv empfindet. Zu dem hilft die angstfreie Zugehörigkeit Kindern, das Empfinden für die eigene Potenz als Kraft zu entwickeln, mit der man durch sein Handeln etwas bewirken kann. Weil man aber durch eigenes Handeln in der Geschlechtsgruppe Wirkung erzielt, rechnet man dies der eigenen Geschlechtlichkeit zu, was zu Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit hilft. Im Kind wird dadurch die Stimme laut: "Ich weiss wer ich bin, denn ich kann durch das was ich tue, was bewirken!"

Je selbstbewusster ein Kind in Bezug auf seine Fähigkeiten wird, desto mehr Zutrauen gewinnt das Kind, mittels seines Handelns das vor ihm liegende Leben bewältigen können. Verwirklichung der eigenen Geschlechtlichkeit durch Handeln und Zukunftshoffnung gehen so Hand in Hand. - In der psychoanalytischen Entwicklungstheorie sprach man früher von der Kindheit, die zwischen Kindergartenalter und Übergang in die weiterführende Schule liegt, als Latenzphase. Dadurch wollte man ausdrücken, dass in dieser Phase nicht viel geschieht. Neue Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie aber zeigen, dass die Kindheit eine bewegte Phase und die Basis für den Übergang in die Adoleszenz bildet, die mit der Pubertät, also der geschlechtlichen und sexuellen Entwicklung des Körpers eingeleitet wird.

Pubertät - Eine herausfordernde Baustelle

Alle kleinen und großen Entwicklungsschritte und vor allem Erfahrungen, die ein Mädchen oder ein Junge in der Zeit der Kindheit durchschritten oder erworben hat, bilden für die Zeit, die durch die Pubertät eingeleitet wird, eine Basis. Sie können Sicherheit geben, weil durch die Erfahrung mit den Pflegepersonen Beziehungen einschätzbar sind. Sie können Vertrauen in den Körper geben, weil in der Kindheit in gutes Gefühl für den eigenen Körper entwickelt wurde. Sie schützen aber den Jugendlichen nicht vor den Begegnungen und Herausforderungen, die mit Eintritt der Pubertät auf ihn zukommen.

Das erste was auf den jungen Menschen zukommt, ist sein eigener Körper. Er verändert sich. Was an sich schon eine Herausforderung darstellt, wäre da nicht auch die Frage, ob er sich in die richtige Richtung entwickelt. Also in Richtung des Idealbildes, das man sich für seinen weiblichen oder männlichen Körper wünscht. Für Mädchen mehr als für Jungen ist der sich durch die Pubertät verändernde Körper eine Herausforderung. So erleben Mädchen den pubertierenden Überging schmerzhaft. Es kommt zur Menarche. Zur ersten Blutung. Zu dem ist ihre Geschlechtlichkeit innenliegend. Sie entzieht sich, tut einfach etwas, ist ein Geheimnis. Dann, anders als bei Jungs, verliert der Körper des Mädchens viel deutlicher seine kindliche Selbstverständlichkeit. Da entstehen auf einmal Brüste, die vor allem in Zeiten der Regelblutung spannen und Schmerzen verursachen können. - Hinzu kommt, was die Medien und die Umwelt vom Körper des Mädchens erwarten. - All das wird von nicht wenigen Mädchen als große Belastung empfunden. Deshalb reagieren manche mit körperlichen Symptomen oder manche reagieren mit zeitweiliger Magersucht oder wenden irgendwelche Diäten an. Die Umwelt reagiert darauf alarmiert. Versteht aber oft nicht, welchen Herausforderungen das Mädchen ausgesetzt ist und dass hinter allen symptomatischen Entwicklungen oft nur der Wunsch steht, etwas kontrollieren zu wollen, was einen wie eine Welle überschwemmt.

Eltern, aber auch Pädagogen, vor allem Sexualpädagogen, sollte Mädchen durch diese Phase sensibel begleiten können. Konnten Mädchen in der Kindheit gute Beziehungen aufbauen, dann vertrauen sie auch. Letztlich können sie aber nur Menschen vertrauen, die sie feinfühlig begleiten und ihnen helfen, Worte für das zu finden, was in ihnen vorgeht. Ratschläge, Ratgeber oder Warnungen, treiben Mädchen eher in die Flucht und in die Einsamkeit.

Alles was Mädchen in der Phase der frühen und mittleren Adoleszenz in Bezug auf ihren Körper erleben, kann sie ein Leben lang prägen. Manchmal passiert es, dass sich Mädchen, die mit ihren Fragen alleingelassen werden, Bestätigung bei Jungs suchen. Die verstehen aber die Frage des Mädchens nicht. Wie auch, denn das Mädchen hat für das, was in ihr vorgeht, selbst keine Sprache. Und so kommt es zu ersten sexuellen Erlebnissen, in denen das Mädchen erlebt, dass sie nur dann mit ihrem Körper wertvoll ist, wenn sie ihre Grenzen aufgibt oder ihre Grenzen verletzen lässt. - Wir kennen viele Geschichten von Frauen, die ein Leben lang an solchen Erfahrungen leiden und sich noch als Erwachsene in einer Opferrolle befinden.

Auch wenn für Mädchen nachweislich die Aneignung des Körpers ein schwieriges Thema ist, so ist das Thema "Körper" für Jungs in den letzten Jahren ebenfalls ein Thema geworden. War der Körper von Jungs in der Vergangenheit eine zweitrangige Frage, so genügt heute ein Blick in Fitness-Studios um zu erkennen, dass Jungs mit ihrem Körper ringen. Dabei startet der Junge mit einem Vorteil in die Pubertät. Denn seine Reifung ist mit einem angenehmen Gefühl verbunden, dem Orgasmus, von dem die erste Ejakulation begleitet ist. Auch verliert der Junge nicht die Selbstverständlichkeit seines jungenhaften Körpers. Durch den Testosteronschub gewinnt er vielmehr an Kraft. Etwas von dem ein Junge schon immer geträumt hat. Und die meisten Jungs freuen sich, wenn der Bart wächst oder die Körperbehaarung zunimmt. Wenn sie sich in Grenzen hält. - Leider wird diese eher positive Entwicklung heute aber überschattet. Denn es gibt viele Bilder, an denen der männliche Jugendliche ablesen soll, welche ideale Körperform er ausbilden kann. Tatsache aber ist, dass jeder Junge nur den Körper hat, der ihm gegeben ist. Er kann ihn zwar verändern, kann Muskeln zulegen, kann für einen Sixpack trainieren. Am Ende muss er aber akzeptieren, dass ihm die Natur nur diesen einen Körper gegeben hat. - Anforderungen der Medien, Erwartungen an den männlichen Körper, die in der Peer Group aufgestellt werden, bringen junge Männer heute durcheinander. Deshalb finden sich auch bei Jungs heute ab der Pubertät viele körperbezogene Probleme. Nicht selten überfordern sich Jungs, trainieren zu früh und zu hart, können die Belastungen auf Muskulatur und Skelett nicht richtig einschätzen oder greifen zu Nahrungsergänzungen bis hin zu unerlaubten Substanzen, die sie langfristig schädigen. - So wachsen auch Jungs heute in einer Atmosphäre von Verunsicherung auf, ob denn ihr Körper genügt. Nicht selten suchen sie dafür bei Mädchen nach Bestätigung, zwingen sich sexuell auf, was wiederum Grenzverletzungen nach sich zieht. - Leider fallen in diesem Prozess häufig die Väter aus, da sie noch aus einer Zeit stammen, wo der Körper ein Stück egal war. Mehr noch aber denken Väter, dass ihre Jungs sie ab der Pubertät nicht mehr brauchen, da es ja jetzt um Loslösung vom Elternhaus geht. - Diese Annahme aber ist falsch, wie die Bindungsforschung zeigt. Denn für Jungs und Mädchen bleiben die Eltern bis ins frühe Erwachsenenalter die zentralen Ansprechpartner. Bei Gleichaltrigen erprobt man Freundschaft, man prahlt über scheinbar Erreichtes, aber man spricht nicht über Inneres.

Der Körper wirft für den jungen Menschen aber nicht nur viele Fragen auf, er bringt auch eine Entwicklung in Gang, deren Ende scheinbar vorgezeichnet ist: Das eingehen einer Partnerschaft, die möglichst heterosexuell sein soll. Für heterosexuelle Jugendliche ist dieser Weg aber aus mehreren Gründen schwierig. Dies liegt vor allem an den Umbauprozessen im Gehirn. Denn das ist nicht nur von Geschlechtshormonen überschwemmt, sondern wird auch in Bezug auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung komplett umgebaut. So stellt ein Jugendlicher im Unterschied zum Kind fest, dass Probleme nicht einfach weggehen. Sie bleiben und sie sind Teil seiner Person. Ebenso stellt sich für den jungen Menschen eine neue Wahrnehmung seiner Gefühle ein. So stellt er fest, dass man innen anders fühlen kann, als was man nach Außen zeigt. Das wirft die Frage auf, wem man jetzt noch vertrauen kann? Oder die Frage, wer verbirgt sein wahres Gefühl? Ist jemand überhaupt ehrlich zu mir? - Neben dieser Veränderung ist aber wohl die komplexeste, die Einfühlung in anderen oder die Mentalisierung. Damit die Fähigkeit gemeint, die Welt aus der Perspektive des anderen sehen zu können. Das Schwierige ist: Ein Jugendlichen hat diese Fähigkeit bis ins 17 Lebensjahr nur wenig gut ausgebildet. So kommt es, dass er Beziehung nicht einschätzen kann. Das bringt Misstrauen mit sich, Unsicherheit und verstärkt die Fragen, die bereits durch das neue Fühlen aufgeworfen wurden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Bindungsforschung feststellt, dass Jugendliche in der frühen und mittleren Adoleszenz in ein Bindungsloch fallen. D.h. nicht, dass sie alle in der Kindheit aufgebaute Bindungssicherheit verlieren. Das heisst nur, dass sie in Bindungen weniger Sicherheit und Halt empfinden können, als im Kindesalter. Leider ist es für Jugendlichen in der frühen und mittleren Adoleszenz kaum ein Trost, dass diese Fähigkeiten ab ca. dem 17 Lebensjahr wieder zurückkommen. Denn jetzt befindet er sich in der Phase, wo er verursacht durch die Veränderungen seines Körpers fragt: Wer bin ich? Jetzt ist er in der Phase, wo es heisst, für einen Partner attraktiv zu sein! Jetzt sieht er sich herausgefordert seine Weiblichkeit oder Männlichkeit in seiner Peer Group darstellen und verteidigen zu können! - Wie aber soll ihm das sicher gelingen, wenn seine Wahrnehmung ihm nicht verlässlich versichern kann, dass das was jemand sagt oder das, wie jemand reagiert, auch wirklich stimmt und ihn meint?

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass es gerade in frühen romantischen Beziehungen, die vor dem 17. Lebensjahr eingegangen werden, zu erheblichen Verletzungen kommen kann. Und auch die Sexualität erweist sich als trickreich. Zwar kann über sie schnell eine Bestätigung für eine funktionierende Weiblichkeit oder Männlichkeit hergestellt werden, die Unsicherheit danach und die Frage, wie ich wirklich auf andere wirke und wer ich in den Augen anderer wirklich bin, kann dadurch nicht geklärt werden. Erwachsene, die sich in der Beratung einfinden, berichten oft von Wunden, die in dieser Zeit geschlagen wurden. Manche leiden bis heute unter der Zurückweisung, die sie als Jugendliche erlitten haben. Selbst der Korb, den sie von einem angebeteten Partner erhalten haben, wirkt noch im Erwachsenenalter nach. Vor allem aber sind es zu frühe sexuelle Beziehungen, die in ihnen große Unsicherheit hinterlassen. Als Erwachsene empfinden sie daher manchmal noch Verachtung gegenüber sich selbst. Sie machen sich den Vorwurf, sich billig verkauft zu haben. Andere nehmen im Nachgang früher romantischer Beziehungen, die schief gelaufen sind, Grenzverletzungen und Missbrauch war. Andere erzählen, dass sie durch Zurückweisungen, die sie bis heute aus dieser Zeit nicht verarbeiten konnten, Beziehungsängste entwickelt haben. Was bei manchen sogar zu einer unglücklichen Partnerwahl geführt hat, mit der sie jetzt im Erwachsenenleben zu ringen haben.

Die Entwicklung der Sexualität und Geschlechtlichkeit und der Weg heterosexueller Entwicklung will daher verstanden werden. Und ich glaube, dass wir ahnen, vor welcher großen Aufgabe junge, heterosexuell empfindende Menschen gestellt sind. Denn sie wollen ja ihre Geschlechtlichkeit, die in der Kindheit erste Wurzeln geschlagen hat, ab der Pubertät vertiefen. Sie wünschen sich, in ihrem Körper und ihrer Kerngeschlechtlichkeit, sicherer zu werden. Sie wollen durch ihre Peer Group, also von Gleichgeschlechtlichen und Gegengeschlechtlichen akzeptiert und mehr noch, attraktiv empfunden werden. Und sie wollen ihr weibliches und männliches Potential, auch als sexuelles Können, bestätigt wissen. - Vor der Tatsache aber, dass sie durch die Entwicklung im Bereich ihrer Gefühle, der Wahrnehmung etc., noch zusätzlich belastet sind, wird deutlich, dass die Aufgabe mehr als schwer ist und dass sie dringend verständnisvolle Erwachsene brauchen, die sie in diesem Prozess nicht allein lassen.